1959 - 2009. Besinnung auf 50 Jahre Hochschulsport
Im Allgemeinen vollzieht sich die Gründung einer Institution oder eines Vereins in einem feierlichen Akt. An einen solchen kann sich, was die Erfurter Hochschulsportgemeinschaft betrifft, niemand erinnern. Er hat nicht stattgefunden. 1959, im Oktober, befand der Kreisvorstand des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), dass eine so große studentische Einrichtung wie das Pädagogische Institut eine eigene Sportgemeinschaft haben sollte. Die fünf Sportlehrer des Instituts waren eigentlich auch dieser Meinung. Nur verfügte man über keine eigenen Sportanlagen, solche waren damals auch in der Stadt überaus rar. Und wenn man gründen würde, das war klar, würden alle Sportlehrer sowohl als Übungsleiter fungieren müssen als auch die üblichen Vorstandsfunktionen wie Vorsitzender, Hauptkassierer, technischer Leiter usw. zu besetzen haben.
„Wir helfen Euch, wir werden das gemeinsam schon hinkriegen, denkt an die Bedeutung des Sports“, versuchte der DTSB unsere Einwände zu zerstreuen. So vollzog sich die „Geburt“ der Sportgemeinschaft des Pädagogischen Instituts Erfurt mit dem Namen: „HSG Wissenschaft“. Wolfgang Kehr, einer der fünf Sportlehrer, wurde ihr erster Vorsitzender.
1969 übernahm Siegfried Rein das Zepter und er übergab es 1978 an den Prorektor Professor Dietrich Blandow. Nach dessen Ausscheiden aus der Hochschule 1990 konnte längere Zeit kein Kandidat für das Amt des Vorsitzenden gefunden werden. So musste das Leitungsmitglied Rolf Völksch als kommissarischer Leiter einspringen. Trotz seiner umfangreichen Aufgaben als Kassenwart der HSG und weiteren sportlichen Verantwortungen konnte er erst 1992 aus dieser Funktion ausscheiden.
Für eine Wahlperiode stellte sich Dr. Seewald vom Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft als Vorsitzender zur Verfügung. 1996 schließlich wurde der Kanzler der Pädagogischen Hochschule, Martin Kellner, als Vorsitzender gewählt. 1997 musste er den Vorsitz wegen der Unvereinbarkeit von Dienststellung und diesem Ehrenamt niederlegen und hinterließ erneut eine nicht sofort zu schließende Lücke. Der Sportlehrer Eckhard Beyrodt leitete für den Rest der Wahlperiode die HSG kommissarisch. 1994 kehrte der ehemalige Student der Hochschule, Jens Panse, nun als Sprecher der wieder gegründeten Universität, an seine alte Studienstätte zurück. Als langjähriges Mitglied der HSG wurde er 1999 zum Vorsitzenden gewählt und füllt diese Funktion bis heute aus. Diese zehn Jahre waren für den Verein eine überaus erfolgreiche Periode.
Die Gründung 1959 wurde mit knapp 100 Studenten und fünf Übungsleitern vollzogen. In den folgenden Jahren erhöhten sich die Mitgliederzahlen, neue Sportarten kamen hinzu. Bis 1989 trainierten zeitweise mehr als 1.000 Sportfreunde in 14 Sektionen. Zirka 25 Mannschaften und Staffeln beteiligten sich an den Wettkämpfen der Sportverbände bzw. in den für den Studentensport speziell geschaffenen Wettkampfformen wie Studentenliga und Studentenspartakiade oder Studentenmeisterschaften. An der Idee der Einführung und dem Ausbau solcher studentenspezifischer Wettkampfmöglichkeiten hatte die HSGLeitung, allen voran Dr. Heinz Möser, entscheidenden Anteil. Die Trainings- und Wettkampfbedingungen für so viele Freizeit- und Vereinssportler verbesserten sich mit dem Bau einer kleinen Turnhalle 1965 und dem Sportplatz 1971, konnten aber den Bedarf bei Weitem nicht decken. Noch lange mussten die Übungsleiter und Sportlehrer mehrmals am Tag quer durch die Stadt zu den Sportstätten fahren. Erst mit dem Bau der großen Sporthalle 1988 trat eine entscheidende Besserung ein.
Trotz dieser Beschränkungen hatte sich die HSG an der Ausrichtung von Wettkämpfen auf allen Ebenen zu beteiligen. Aus den Protokollen geht hervor, dass bis 1990 Dutzende von Wettkämpfen auf der Kreis- bzw. Bezirksebene zu organisieren waren. Besondere Kraftakte erforderten die in Verantwortung der HSG übertragenen DDR-weit ausgeschriebenen Wettkämpfe. Über 1.000 Studenten trafen sich 1967 zum Sportfest der Hochschulen der drei Thüringer Bezirke. 1969 waren über 800 Crossläufer aus den DDR-Hochschulen in Erfurt zu Gast. DDR-Studentenmeisterschaften waren 1968 im Handball, 1970 in der Künstlerischen Gymnastik und 1978 im Orientierungslauf zu organisieren. 1983 waren es die drei Tage währenden Meisterschaften in der Leichtathletik mit über 500 Teilnehmern und 1989 die im Basketball. Höhepunkte im Sportleben der Hochschule waren die von 1967 bis 1989 jährlich ausgetragenen Wettkämpfe um den Dr. Theodor Neubauer Pokal in der Künstlerischen Gymnastik. Hervorragend organisiert von Erika Wellmann, konnte sie den Zuschauern auch einige Male Gymnastinnen der DDR-Nationalmannschaft präsentieren.
In diesen Wettkampfbereichen konnten HSG-Sportler nicht mehr zu zählende vordere Plätze belegen. Herausragende Ergebnisse sind in den abteilungsspezifischen Abschnitten nachzulesen. Hier nur soviel: Die Sektion Orientierungslauf hat sich, 1971 an Punkt Null beginnend, in kurzer Zeit zu einer der erfolgreichsten OL-Sektionen zunächst in der DDR, später auch im gesamtdeutschen Sport entwickelt. Unter der Leitung von Rolf Völksch, der selbst ein aktiver Wettkämpfer war, dem verantwortliche Funktionen auch im nationalen Rahmen übertragen wurden, starteten HSG-Sportler in einem Dutzend europäischer Länder.
Die von Dr. Jochen Heller sehr erfolgreich über viele Jahre trainierten Volleyballer durften sich in den achtziger Jahren mit der Nationalmannschaft von Kuweit und der Juniorenauswahl von Kuba messen. Eben diese Truppe schaffte Anfang 1989 auch die Pokalsensation mit ihren Siegen über die zur DDR-Spitze gehörenden Mannschaften der TU Dresden und Carl Zeiss Jena. Erst der DDR-Meister SC Dynamo Berlin stoppte diese Serie. Die Handballfrauen schafften 1988 mit ihrem Trainer Clemens Kühn bei den DDR-Studentenmeisterschaften den Einzug ins Halbfinale.
Im Archiv finden sich aber auch Berichte über Sportfahrten nach Banska Bystrica und die abendlichen Gesänge am Lagerfeuer in den Bergen der Slowakei, nach Eger mit seinen einladenden Weinkellern im „Tal der schönen Frauen“, über die Winterlager in Jugendherbergen. Auch manch Kurioses kann man den Protokollen des Sportvereins entnehmen.
1964 musste das an Erfurt vergebene 10. Sportfest der Pädagogischen Hochschulen ausfallen, weil im vorangegangenen Winter so viele Lehrveranstaltungen ausgefallen waren, dass diese im Sommer, eben zur Sportfestzeit, nachgeholt werden mussten. 1982 gab es eine Beschwerde beim Rektor, weil das Hochschulsportfest auf einen Freitag gelegt worden war und schon damals der Freitag, nicht nur bei Professoren, eigentlich schon kein richtiger Studientag mehr war. Im Protokoll vom 15. Dezember 1983 war zu lesen: „Qualität der Kalten Platte beim Rektorempfang unbefriedigend“, und am 30. Januar 1989: „Fußballer zeigten keine Einsicht über ihre unpassende Singerei beim Rektorempfang. Getränke beiseite geschafft“. „Das Hochschulsportfest 1973 ein voller Erfolg. 1.400 Studenten und Mitarbeiter. Angebote in 10 Sportarten. Abendveranstaltung mit den Sportreportern Wolfgang Hempel, Werner Preiß und Mittelstreckenmeister Manfred Matuschewski vom SC Turbine Erfurt.“
Für all diese Bemühungen und Erfolge wurde die HSG 1983 in einem Festakt in Berlin als „Vorbildliche Sportgemeinschaft des DTSB der DDR“ und 1988 mit dem Ehrenzeichen der DDR für Körperkultur und Sport ausgezeichnet. Als Anerkennung für die Anstrengungen aller an der Entwicklung und der erfolgreichen Arbeit der HSG Beteiligten durfte sich 1996 Dr. Wolfgang Kehr in das „Ehrenbuch des Erfurter Sports“ eintragen. Die Mitarbeit zahlreicher HSG-Mitglieder in den zentralen Leitungen des DDRHochschulsports und in den Sportverbänden wurde mit der Verleihung von Ehrennadeln in Gold und Silber gewürdigt. An dieser Stelle ist noch eines Kollegen und HSG-Mitgliedes zu gedenken, der leider verstorben ist: Dr. Wolfgang Timpel. Er war über Jahrzehnte Leiter der Abteilung Studentensport und von Anfang an Mitglied der HSG, Mitbegründer und an der Entwicklung der HSG bis 1989 in den verschiedensten Funktionen ideenreich und zupackend herausragend beteiligt.
Nach der Wende veränderte sich die Situation für die Sportgemeinschaft grundlegend. Über vier Jahrzehnte hatte die Hochschulsportgemeinschaft an ihrem Namen festgehalten, sieht man von Zusätzen wie „Wissenschaft“ (1959), „Pädagogik“ (1970) und e. V. (1990) ab. Im Jahr 2000 gab es dann nach 41 Jahren eine grundlegende Umbenennung in „Universitätssportverein Erfurt e. V.“ (USV Erfurt). Dazu finden sich in Protokollen aus dieser Zeit Niederschriften wie: Gemeinnützigkeit beantragen; Steuerberatung befragen; Kontenumstellung vornehmen; Versicherungsprobleme klären; wie wird das Verhältnis zur Hochschule grundsätzlich und hinsichtlich der Hallennutzung zu regeln sein? Es galt, eine völlig andere finanzielle Basis ebenso zu schaffen wie auch eine gravierende Änderung der Mitgliederstruktur. Der Verein wurde, stärker als früher, ein auch für Nichtstudenten offener Verein und daneben Heimstatt der Fachhochschule Erfurt. Heute sind nur noch etwa die Hälfte Studenten und Mitarbeiter unter den über 1.000 Mitgliedern zu finden.
So hat sich der USV in den letzten zehn Jahren zu einem modernen Sportverein entwickelt mit professioneller Geschäftsführung, einer eigenen Geschäftsstelle, gepflegten Sportanlagen, einem stark erweiterten Sportangebot und Möglichkeiten der gastronomischen Versorgung.
Eine ganz besondere Herausforderung war die Aufgabe, den gesamten Hochschulsport in die Verantwortung des USV zu übernehmen und Sportkurse außerhalb der USVSportabteilungen zu organisieren. Der mit einem Investitionsaufwand von rund 780.000 Euro 2008 fertiggestellte Anbau an die Sporthalle auf dem Uni-Campus hat dafür ebenso beste Bedingungen geschaffen wie für die Erweiterung der Trainingsmöglichkeiten der Abteilungen Karate, Judo, Gymnastik und Schach und auch für die sportliche Betätigung der Kinder des universitätseigenen Kindergartens. Ein moderner Kraftraum konnte ebenfalls in Betrieb genommen werden. Für alle Volleyballer ging ein Wunsch in Erfüllung, als 2003, dank der Beharrlichkeit von Dr. Jochen Heller, der mit erheblichen Fördermitteln fertiggestellte Beach-Volleyball-Platz zur Nutzung freigegeben wurde.
Während die Wettkämpfer der meisten Abteilungen „nur“ sportliche Erfolge auf Bezirks- oder Landesebene vorweisen können, sind die Karatesportler international als Nationalmannschaft der Damen außerordentlich erfolgreich. Die Abteilung Karate wurde zum Bundesförderzentrum erhoben und stellt mit Andreas Kollek auch den Landestrainer. Bisher größter Erfolg war der Vizeeuropameistertitel des Damen-Kata-Teams im Jubiläumsjahr 2009. Auf Olympiamedaillen wird man – solange Karate noch nicht olympisch ist – im Sportverein wohl weiter warten müssen. HSG-Mitglieder als Olympiasieger gab es aber schon. Johanna Klier als Hürdenolympiasiegerin von 1976 und Bernhard Germeshausen, einer der erfolgreichsten deutschen Bobpiloten, waren Sportlehrer an der Hochschule und auch engagierte Übungsleiter im Verein. So hat auch Dr. Inge Friedrich, die Ende der 60er- Jahre Mitglied der Nationalmannschaft der DDR im Kugelstoßen war, viele Jahre aktiv im Vorstand der HSG mitgewirkt.
Was die weiteren Leistungen der Vereinssportler betrifft, sind Dutzende von Einzelund Mannschaftstiteln vorzuweisen, gab es zeitweilige Aufstiege in höhere Ligen, wie z. B. die Basketball-Herren in die DDRLiga, später in die 2. Regionalliga Südost, was auch die Damen schafften. Von den Siegen und Platzierungen bei Meisterschaften, Bestenermittlungen oder Pokalwettkämpfen im Kreis, im Bezirk, dem Land Thüringen, bei Studenten- und Verbandsmeisterschaften zeugen die dabei errungenen Urkunden und Pokale, die nun die USV-Sportstätten zieren.
Der Hochschulsport hält heute für die in Erfurt Studierenden ein umfangreiches Freizeitangebot bereit. Die ca. 80 Kurse werden vom Universitätssportverein mit einem Sportkoordinator und ehrenamtlichen Übungsleitern organisiert und betreut. Die Erweiterung durch Sportgruppen für Krebsbetroffene in der Nachsorge, für Mutter, Vater, Kind oder Yoga und Tanz für Senioren ist auf starkes Interesse gestoßen. Das bestätigt den zwar nicht ausdrücklich formulierten, aber von Anfang an gedachten Charakter der Sportgemeinschaft und des Vereins: eindeutige Orientierung auf den Breitensport, immer aber auch verbunden mit einem Leistungsanspruch in den Wettkampfmannschaften. Ein weiteres Feld ist der Kinder- und Jugendsport. In den Abteilungen Basketball, Volleyball, Judo und Karate finden gegenwärtig viele jugendliche Sportler eine gediegene Ausbildung. Sie sind ebenfalls in den Wettkampfsport der Verbände eingegliedert.
Nicht zuletzt sind die Aufträge an den USV, sportliche Großveranstaltungen durchzuführen, auf den guten Ruf des Vereins zurückzuführen. 1991 wurde an die Orientierungsläufer als erstem ostdeutschen Verein die Ausrichtung der Deutschen Bestenkämpfe im Nacht- Orientierungslauf oder die Durchführung des Jugend- und Juniorenländerkampfes mit über 400 Teilnehmern übertragen. Absolute Höhepunkte der letzten Jahre waren die durch die Karate-Abteilung ausgerichteten Deutschen Meisterschaften der Leistungsklasse, zuletzt im Jubiläumsjahr 2009, sowie die von der Abteilung organisierten internationalen Trainingslager. Die Leichtathleten konnten sich über die zunehmende Popularität des von ihnen erfundenen „Kirschlauf“ auf den Fahner Höhen Erfreuen und erzielten mit ihrer Beteiligung an der World Aids Awareness Expedition im Jubiläumsjahr eine erstaunliche internationale Medienresonanz.
Wenn auch in dieser Kurzfassung der Geschichte der Hochschulsportgemeinschaft und des Universitätssportvereins manche Unterschiede erkennbar geworden sind, den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen 1989/90 geschuldet, in wesentlichen Bereichen ist Kontinuität als Markenzeichen geblieben. Genannt sei hier nur das Engagement der Vereinsmitglieder. Es ist immer Grundvoraussetzung für den Bestand und die Entwicklung des Vereins gewesen und ist es heute noch. Ohne die zu jeder Zeit notwendigen ehrenamtlichen Helfer, über die Jahre mögen es viele Hunderte gewesen sein, ist Sport nicht möglich. Trainer, Übungsleiter, Schieds- und Kampfrichter, Mitstreiter in den sportlichen Leitungen waren ebenso unentbehrliche Helfer wie die bei der Anfertigung von Sportgeräten „Marke Eigenbau“ in Mangelzeiten oder beim Bau und der Unterhaltung der Sportanlagen. Allein dieser Bereich verdient eine eigene Würdigung.
Zum 50-jährigen Jubiläum des organisierten Sports an der Hochschule kann ohne Übertreibung festgestellt werden: Der siebzehntgrößte Sportverein Thüringens verfügt heute über nahezu optimale Bedingungen und eine gut organisierte Vereinsstruktur. Zum ganz großen Glück fehlen allerdings noch ein Sportplatz, Tennisplätze und vielleicht sogar ein Hallenbad. Optimist Jens Panse: „Man muss immer Visionen haben, und außerdem wollen wir ja zum 60. auch noch einiges zu vermelden haben.“ Na dann weiterhin gute Fahrt USV!